
„Ich habe mich sozusagen verloren.“ – Die Geschichte hinter der Alzheimer-Erkrankung
Im November 1906 stellte der Neuropathologe Alois Alzheimer auf der 37. Tagung Südwestdeutscher Irrenärzte erstmals seine Befunde am Gehirn einer 51-jährigen Patientin vor: Auguste Deter. Bereits ab 1901 hatte Alzheimer sie in seiner Frankfurter Nervenklinik behandelt, ihr Verhalten dokumentiert und sich wiederholt mit ihr unterhalten. In einer ihrer Verwirrtheits-Phasen klagte sie:
Ich habe mich sozusagen verloren.

Auguste Deter (im Bild) starb mit gerade einmal 56 Jahren und wird heute als die erste Alzheimer-Patientin bezeichnet. Nachdem Alois Alzheimer sich Gewebeproben ihres Gehirns nach München schicken ließ, stellte er merkwürdige Ablagerungen darin fest.
Auf dem Kongress schilderte er zudem, dass die Hirnrinde geschrumpft sei und Ablagerungen (sog. Plaques) außerhalb an den Zellen zu finden seien. Der Fall wurde zunächst nicht weiter beachtet, da man ihn als „Altersblödsinn“ einstufte. Dies ist deshalb kurios, weil Auguste Deter bereits mit 51 Jahren an der Erkrankung litt. Vermutlich wurde deshalb auch das Interesse von Alois Alzheimer geweckt, der entgegen seinem Forschungskollegium biologische Ursachen vermutete.
Trotz der fehlenden Anerkennung bezeichnete der renommierte Psychiater Dr. Emil Kraepelin die Erkrankung in seinem 1910 veröffentlichten Band: „Psychiatrie: Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte / Vol. II“ als „Alzheimerschen Krankheit“ (S. 627). Neben dieser ersten Erwähnung in der Fachliteratur, beschreibt Kraepelin einige Symptome, welche die Krankheit bis heute charakterisieren (S. 624 – 625):
Eine eigentümliche Gruppe von Fällen mit sehr schweren Zellveränderungen hat Alzheimer beschrieben. […] Die Kranken gehen im Laufe einiger Jahre allmählich geistig zurück, werden gedächtnisschwach, gedankenarm, verwirrt, unklar, finden sich nicht mehr zurecht, verkennen die Personen, verschenken ihre Sachen. Späterhin entwickelt sich eine gewisse Unruhe; die Kranken schwatzen viel, murmeln vor sich hin, singen und lachen, laufen herum, nesteln, reiben, zupfen, werden unreinlich. […] die Kranken verstehen keine Aufforderungen, keine Gebärden, erkennen Gegenstände und Bilder nicht, vollführen keine geordneten Handlungen, ahmen nicht nach, machen bei Bedrohungen keine Abwehrbewegungen, obgleich sie Stiche mit der Nadel sehr unangenehm empfinden.
Bis in die 60er Jahre blieben intensive Forschungsbemühungen und Erkenntnisse rund um die Volkskrankheit aus. In den 1970er Jahren nahmen mit dem zunehmenden (politischen) Bewusstsein des Demografischen Wandels die wissenschaftlichen Erkenntnisse dann wieder Fahrt auf. Der US-Neurologe Robert Katzman bewies, dass Alzheimer die häufigste Form der Demenz ist, und gehörte zu den Gründern der Alzheimer’s Association.
Ein weiterer Durchbruch gelang 1984, als George Glenner und Caine Wong erstmals das β-Amyloid-Peptid aus Gefäßablagerungen im Gehirn isolierten. Diese Entdeckung legte das Fundament für die heute zentrale Amyloid-Kaskadenhypothese, wonach überschüssiges β-Amyloid die Nervenzellen schädigt.

Nur zwei Jahre später entdeckten Forscher Tau-Protein, als Hauptbestandteil des sog. neurofibrillären Bündel (Tangles). Die übermäßige Ablagerungen dieser Bündel stören die Zellstruktur, blockieren den Transport und führen letztlich zum Zelltod. Damit war klar: Alzheimer ist eine doppelt pathologische Erkrankung – mit Ablagerungen sowohl außerhalb als auch innerhalb der Nervenzellen.
Bis heute gibt es kein Gegenmittel gegen die Alzheimererkrankung, die bereits vor knapp 119 Jahren entdeckt wurde. Angesichts einer stetig alternden Weltbevölkerung gewinnt die Krankheit zunehmend an Bedeutung – nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch. Der Welt-Alzheimer-Bericht 2024 fasst zusammen (S. 8):
Alle drei Sekunden erkrankt irgendwo ein Mensch an Demenz. Im Jahr 2019 litten weltweit schätzungsweise 55 Millionen Menschen an Demenz. Laut WHO wird diese Zahl bis 2050 voraussichtlich auf 139 Millionen ansteigen. Die jährlichen Kosten für Demenz beliefen sich 2019 auf 1,3 Billionen US-Dollar. Bis 2030 dürfte sich dieser Wert auf 2,8 Billionen US-Dollar mehr als verdoppeln. Mit der zunehmenden Alterung der Weltbevölkerung entwickelt sich Demenz zu einer der häufigsten Todesursachen. Daher ist es für medizinisches Fachpersonal, politische Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit umso dringlicher, die Bedeutung der Erkrankung zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen auf Demenzkranke, ihre Familien und Pflegekräfte sowie die Gesellschaft als Ganzes zu mildern.
Auch wir als Alzheimergesellschaft Mecklenburg-Vorpommern setzen uns für ein besseres Leben mit Demenz ein. Dafür schulen wir Angehörige und Interessierte, bilden Demenz-Experteninnen und -Experten aus und engagieren uns persönlich, regional und politisch für ein inklusives demenzsensibles Miteinander. Gerne können Sie sich weiter auf unserer Internetseite umschauen oder uns bei Fragen per Telefon oder Mail kontaktieren.
Quellen (Zugriff 24.06.2025):
- https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/geschichte-der-alzheimer-krankheit/
- https://www.alzint.org/u/World-Alzheimer-Report-2024.pdf
- https://www.tagesspiegel.de/wissen/der-fall-der-verwirrten-auguste-deter-7022371.html
- Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. Achte, vollständig umgearbeitete Auflage. II. Band. Klinische Psychiatrie. I. Teil. Barth Verlag, Leipzig 1909; aufgerufen unter: https://archive.org/details/BIUSante_63261x02/page/624/mode/2up?q=Alzheimer
Bildquellen (Zugriff 24.06.2025):
- https://www.alzheimerwueufr.de/alois-alzheimer/
- https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/geschichte-der-alzheimer-krankheit/
- Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. Achte, vollständig umgearbeitete Auflage. II. Band. Klinische Psychiatrie. I. Teil. Barth Verlag, Leipzig 1909; aufgerufen unter: https://archive.org/details/BIUSante_63261x02/page/624/mode/2up?q=Alzheimer
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