
Haben Schwangerschaftsverläufe Einfluss auf Demenz?
Besteht eine Verbindung zwischen kognitiven Beeinträchtigungen bzw. Demenz und ungünstigen Schwangerschaftsverläufen? Zu diesem Thema veröffentlichte die renommierte medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ im Dezember 2024 eine Studie der Columbia University in New York.
Wie wurde bei der Studie vorgegangen?
Es handelte sich um eine systematische Meta-Analyse. D. h. es wurden keine eigenen Beobachtungen an Probandinnen und Probanden durchgeführt, sondern bestehende Studien untersucht.
Dabei entwickelte die Forschungsgruppe einige Kriterien für den Ein- bzw. Ausschluss von Studien, um eine möglichst präzise Antwort auf die Forschungsfrage zu erhalten. Die Kriterien waren u.a.:
- Die Studien mussten Ergebnisse im Bereich milder kognitiver Beeinträchtigungen oder verschiedener Formen von Demenz (bspw. Alzheimer oder vaskuläre Demenz) aufzeigen.
- Die Studienergebnisse durften sich nicht zusätzlich auf Männer und auch nicht auf Frauen, die noch nie schwanger waren, beziehen. Im Fokus standen also ausschließlich Frauen, welche mindestens einmal schwanger waren.
- Bei den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern durften keine kognitiven Beeinträchtigungen im Vorhinein bestehen.
- Studien, in denen die Beeinträchtigungen in den ersten sechs Monaten nach der Schwangerschaft auftraten, wurden ausgeschlossen, um mögliche postpartale1 Folgen der Schwangerschaft von langfristigen Beeinträchtigungen zu unterscheiden.
Was sind laut Studie „ungünstige Schwangerschaftsverläufe“?
Die Forschungsgruppe verstand unter ungünstigen Schwangerschafts-verläufen verschiedene Krankheitsbilder / Störungen vor oder während der Schwangerschaft, d.h.:
- Chronische Hypertonie: Hoher Blutdruck, der vor der Schwangerschaft bestand
- Gestationshypertonie: Hoher Blutdruck ausgelöst durch die Schwangerschaft
- Präeklampsie / Eklampsie und verwandte Syndrome (wie das HELLP-Syndrom), was so viel bedeutet wie Eiweiß im Blut, Organschädigungen, Krampfanfälle, erhöhte Leberenzyme und eine geringe Anzahl an Blutblättchen (Thrombozyten).
- Gestationsdiabetes, eine im Verlauf der Schwangerschaft auftretende Form von Diabetes
- aber auch Diabetes vor der Schwangerschaft wurde berücksichtigt
- Stillgeburten
- Fetale Wachstumsrestriktion – Eine unzureichende Entwicklung des Fötus
- Frühgeburten (Geburten vor der vollendeten 37. Schwangerschafts-woche)
- Plazentaablösungen
Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?
Die Forschenden bestätigen, dass Frauen mit einer Vorgeschichte von Schwangerschaftskomplikationen ein höheres Risiko für alle Arten von Demenz haben. Allerdings differenzieren sie dieses Ergebnis – und dies auf verschiedenen Ebenen.
1. Unterschiedliche Demenztypen
Frauen mit ungünstigen Schwangerschaftsverlauf wiesen prinzipiell ein moderates Risiko für die meisten Demenzformen (bspw. Alzheimer auf). D.h. das erhöhte Risiko lag über die meisten Untersuchungen hinweg zwischen 26 % und 32 %. Die Mechanismen, welche hierfür ursächlich sein könnten, sind aktuell unklar.
Besonders hoch macht sich die Gefährdung bei vaskulären Demenzen bemerkbar (bis zu 97 %), was darauf hinweist, dass insbesondere die gefäßbezogenen Risikofaktoren der Schwangerschaft (wie die angesprochene Gestationshypertonie) eine wesentliche Rolle in der Betrachtung von Risikofaktoren spielen.
2. Art der Schwangerschaftskomplikationen
Zudem ist das Risiko abhängig von der betrachteten Erkrankung. Beispielsweise wurde bei Gestationsdiabetes keine erhöhte Gefährdung für die Ausbildung einer Demenz festgestellt. Überraschenderweise konnte bei Stillgeburten ebenfalls kein erhöhtes Risiko festgestellt werden. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, die Einflussfaktoren differenziert zu betrachten. Für Frühgeburten und fetale Wachstumsrestriktion tendierten die Einzelstudien zwar in die Richtung eines erhöhten Risikos, jedoch reichten die Daten nicht aus, um diese Effekte statistisch zuverlässig zu bestätigen.
Darüber hinaus konnten auch unterschiedliche Ergebnisse je nach Methodik der Studie (Studiendesign), der Wahl der Diagnoseverfahren festgestellt werden.
Fazit
Zusammengefasst legt die Studie nahe, dass ungünstige Schwangerschafts-ausgänge mit einem erhöhten Risiko kognitiver Beeinträchtigungen und Demenz in Zusammenhang stehen – insbesondere im Bereich der vaskulären Demenz. Dementsprechend wird betont, dass frühes Screening auf kognitive Einschränkungen bei betroffenen Frauen sehr wichtig ist. Allerdings muss in der Interpretation der Ergebnisse verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Die Diskussion betont, dass weiterführende Studien mit möglichst objektiven Messverfahren nötig sind, um verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Es soll auch herausgestellt werden, dass ungünstige Schwangerschafts-verläufe ein Risiko neben vielen anderen Faktoren darstellt. Obwohl der Verlauf der Schwangerschaft eher indirekt beeinflusst werden kann, gibt es viele Gefährdungspotenziale, auf die wir direkt einwirken können. Prinzipiell gilt, ausreichend Bewegung, viele soziale Kontakte, medizinische Vorsorge, gesunde Ernährung und geistige Fitness stellen Maßnahmen für eine wirksame Demenzprävention dar.
1 Meint: Den Zeitraum nach der Geburt aus mütterlicher Sicht