
Sinkende Zahlen in den Demenzstatistiken – wie ist das einzuordnen?
Seit Jahren hören wir weltweit von der Zunahme von Demenzerkrankungen. Dies liegt vor allem am Demografischen Wandel. Mitte des Jahres dokumentierte eine Untersuchung an der u. a. das DZNE[1] Greifswald beteiligt war, einen Rückgang der Zahlen – wie lassen sich diese Studienergebnisse einordnen?
Vorüberlegung
Wenn in diesem Beitrag von sinkenden Zahlen die Rede ist, beziehen wir uns auf die Inzidenz und die Prävalenz. Die Inzidenz ist den meisten Menschen indessen geläufig und meint die Zahl der Neuerkrankten. Die Prävalenz hingegen meint die Zahl aller Erkrankten zu einem Zeitpunkt oder in einem betrachteten Zeitraum. Sowohl die Inzidenz als auch die Prävalenz seien – so die Untersuchung – seit 2015 gesunken.
Wie wurde untersucht?
In der Analyse wurden vertragsärztliche Abrechnungsdaten der Krankenkassen im Zeitraum von 2015 bis 2022 betrachtet. Zudem wurden Personen im Alter von wenigstens 65 Jahren, bei denen in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen bereits eine Demenz-Diagnose bestand, einbezogen[2]. Es wurden lediglich Daten von Hausärzten ausgewertet. Die Abrechnungsdaten waren jedoch so reichhaltig, dass damit eine Bevölkerungsabdeckung von 88 % erreicht werden konnte – kurzum, die Studie ist sehr repräsentativ.
Was sagen die Zahlen konkret?
Pro 100.000 Versicherte gab es im Jahr 2015 etwa 2.020 Neuerkrankte, während es im Jahr 2022 „nur“ noch 1.500 Versicherte waren. Dies ist ein Rückgang der Inzidenz um 26 %. Bei der Prävalenz sank der Anteil von 10.380 auf 8.470 Erkrankten bezogen auf 100.000 Versicherte. In der Gesamtbetrachtung der Daten schlug sich das ebenfalls nieder: Waren es 2015 noch 1,56 Mio. Erkrankte, verringerte sich die Zahl bis 2022 auf 1,43 Mio. Erkrankte[3]. Die aus der Studie entnommene Grafik stellt diese Entwicklung nochmal visuell dar. Die Balken sind wie folgt zu lesen: Bei den Inzidenzen lag der Wert 2015 bei 2,02 % und ist auf 1,5 % im Jahr 2022 abgesunken – das ist eine Reduktion um fast 26 %.
Was ist der Grund für den Rückgang?
Die Gründe für den Rückgang sind schwer zu bestimmen und lassen sich im Moment lediglich spekulativ beleuchten. Die Forschenden kommen u. a. zu folgenden Überlegungen:
- Die Corona-Pandemie könnte Einfluss auf die Zahlen haben. In dieser Zeit wurden weniger Diagnosen gestellt, weil die Menschen seltener zum Arzt gingen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Zahlen bereits vorher schon sanken.
- Hausärzte haben aufgrund der steigenden Patientenzahlen und der hohen Bürokratie weniger Zeit für eine ausgiebige Diagnostik.
- Die Diagnosedaten werden in einem bestimmten Code an die Krankenkassen übermittelt. Es könnte zu Fehlern beim Kodieren der Demenzerkrankung gekommen sein. Diese Fehler kommen u. a. dann zustande, wenn sich die Diagnose-Codes ändern.
- Häufig bestehen neben der Demenz noch weitere Erkrankungen, welche die Symptome „überlagern“, sodass die Demenzerkrankung nicht gleich erkannt wurde.
- Eine veränderte Sensibilität von den „leichten kognitiven Störungen“ könnte ein weiterer Grund sein. Entgegen dem Trend der sinkenden Zahlen sind die Diagnosen der sog. „leichten kognitiven Störungen“ (Mild Kognitive Impairment, MCI) um 62 % gestiegen. Es lässt sich spekulieren, dass dort, wo früher evtl. eher eine Demenz diagnostiziert wurde, aufgrund der zunehmenden Sensibilisierung der Hausärzte eine klarere Abgrenzung zwischen MCI und einer Demenzerkrankung erfolgt ist.
- Bildung ist nachgewiesenermaßen ein Schutzfaktor für Demenz. Durch die zunehmende Bildung der Gesamtbevölkerung in den Industrienationen schlägt sich dieser Schutzfaktor nun auch bei den Inzidenzen wieder.
Welche Auswirkungen haben die Erkenntnisse?
Gerade der letzte Punkt ist nicht zu verachten. Neben der Zunahme von Bildung sind auch bessere Lebensbedingungen und der medizinische Fortschritt wesentliche Aspekte zur Reduktion der Prävalenz bzw. Inzidenz. Ähnliche Studien aus den Industrienationen (England, USA, Dänemark), welche bereits früherer durchgeführt wurden, konnten ebenfalls rückläufige Zahlen dokumentieren[4]. Die Untersuchung des DZNE bestätigt nun diese Entwicklung.
Allerdings muss betont werden, dass der Effekt der zunehmenden Bevölkerungsalterung größer ist als die abnehmende Prävalenz. Das bedeutet, die Fallzahlen von Demenzerkrankungen steigen im Ergebnis trotzdem weiter an. Das klingt auf den ersten Blick unlogisch, aber die folgende niedrigschwellige Modellrechnung soll dies anhand einer Bevölkerungszahl von 1 Mio. Menschen klarer verdeutlichen:
2015: Bevölkerung = 1 Mio., Prävalenz = 10% → 100.000 Erkrankte
–> Innerhalb von 10 Jahren wächst die Bevölkerung auf 2 Mio. Menschen an.
–> Die Prävalenz sinkt im gleichen Zeitraum um 2 %
2025: Bevölkerung = 2 Mio., Prävalenz = 8% → 160.000 Erkrankte
Ergebnis: Die Gesamtzahl der Erkrankten ist in 10 Jahren um 60.000 gestiegen.
Fazit: Wenn die Bevölkerung schneller wächst als die Prävalenz sinkt, dann steigen die Gesamtzahlen der an Demenzerkrankten trotzdem.
Letztlich lässt sich aber sagen, dass die bessere Behandlung und Aufklärung von Risikofaktoren positive Effekte auf die Bekämpfung von Demenzerkrankungen haben. Eine Entwicklung, durch die sich die Alzheimer Gesellschaft in ihrem Anliegen bestätigt sieht.
Möchten Sie mehr über Risikofaktoren und deren Einfluss auf eine Demenzerkrankung wissen? Dann schauen Sie sich gerne unsere Artikel dazu an:
>> Hier geht’s zum Artikel über die Risikofaktoren<<
Quellen:
https://www.dzne.de/im-fokus/meldungen/2025/neue-studie-weniger-demenzdiagnosen-in-arztpraxen/ (Zugriff: 17.11.2025)
https://www.aerzteblatt.de/archiv/rueckgang-der-demenzdiagnosen-im-niedergelassenen-bereich-52670452-ce98-4a4b-97db-9edd9bb5bc81 (Zugriff: 17.11.2025)
Fußnoten:
[1] Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V.
[2] Dies läuft über sog. Diagnoseziffern welche die Erkrankung codieren und bei Abrechnungen übermittelt werden (dies ist u. a. durch den § 295 SGB V geregelt)
[3] Die absolute Zahl ist mit etwa 1,8 Mio. Erkrankten höher, da nicht alle Erkrankten mit dem oben beschriebenen Vorgehen erreicht werden konnten. Berücksichtigt werden muss zudem der Faktor des Bevölkerungswachstums. Darauf wird weiter unten im Artikel Bezug genommen.
[4] https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Zahl-der-Neuerkrankungen-in-30-Jahren-fast-halbiert-280313.html (Zugriff: 17.11.2025)
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