
Pflegegradbegutachtungen – Eine zweiteilige Einführung (Teil II)
Teil I– Allgemeine Hinweise zur Begutachtung
Teil II – Tipps zur Begutachtung
[Disclaimer: Die Alzheimergesellschaft M-V gibt keine Rechtsberatung. In den folgenden Ausführungen geben wir Ihnen allgemeine Hinweise zur Pflegebegutachtung, die individuelle Gegebenheiten nicht berücksichtigen]
Im letzten Teil haben wir erläutert, wie die Beantragung eines Pflegegrades von Statten geht. In diesem Beitrag wird zu hilfreichen Tipps zur Pflegebegutachtung ausgeführt. Dies geschieht in Form eines FAQs (Häufig gestellte Frage werden beantwortet).
Wann sollte ich einen Antrag auf Pflegeleistungen stellen?
Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Grundsätzlich gilt, so früh wie möglich. Wenn alltägliche Verrichtungen nicht mehr ohne fremde Hilfe gelingen, sind das feste Indizien für eine Antragstellung. Allerdings sollten die zugrundeliegenden Beschwerden chronifiziert sein – d. h. länger als sechs Monate andauern. Das heißt nicht, dass man sechs Monate mit Beschwerden leben muss, bevor man den Antrag stellen darf; vielmehr muss abzusehen sein, dass aufgrund des Krankheitsbildes eine dauerhafte Einschränkung abzusehen ist.
Übrigens: Diese Indizien sind häufig auch Argumente für einen Antrag auf einen „Grad der Behinderung“, den man sich vom zuständigen Sozialamt aushändigen lassen kann.
Was ist, wenn die Pflegekasse nicht auf meinen Erstantrag reagiert?
In der Regel sollte nach dem formlosen Schreiben oder dem Telefonat nicht mehr als 10 Werktage vergehen, bis das Formular „Antrag auf Pflegleistungen“ beim Versicherten angekommen ist. Eine gesetzliche Frist ergibt sich hierfür nicht mittelbar. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre ein (erneuter) Anruf bei der Pflegekasse angebracht.
Zu beachten ist jedoch, dass die Pflegekasse eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI innerhalb von 14 Tagen nach Antragseingang anbieten muss. Dort wird der Unterstützungsbedarf eruiert und Hinweise zu Hilfsmitteln und div. Fragen rund um die Pflegesituation beantwortet. Die Pflegekassen sind nach § 7b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI dazu verpflichtet.
Was mache ich, wenn die Pflegekasse nicht auf den Antrag auf Pflegeleistungen reagiert?
Hierfür besteht eine gesetzliche Verpflichtung seitens der Pflegekasse. Diese muss innerhalb von 20 Werktagen einen Termin für eine Pflegebegutachtung vorschlagen (§ 18 Abs 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI). Innerhalb von 25 Werktagen nach Antragstellung muss sie dann den Pflegegrad beschieden haben. Dies geht aus § 18c Abs. 1 SGB XI hervor.
Grundsätzlich muss der gesamte Prozess der Antragsstellung betrachtet werden. D. h. vom formlosen Erstantrag an bis zum Bescheid des Pflegegrades hat die Pflegekasse 25 Werktage Zeit den Pflegegrad zu bescheiden. Dies gilt aber nur, wenn ihr die Verzögerung zu Lasten gelegt werden kann. Sobald der / die Versicherte den Termin zur Begutachtung verschiebt, ist die Frist entsprechend anzupassen. Das nachfolgende Schaubild zeigt die Fristen für den gesamten Prozess der Antragstellung nochmals auf:

Wenn die Pflegekasse die Frist selbstverschuldet versäumt, stehen der antragstellenden Person pauschal 70 € pro angefangene Woche zu. Dies gilt nicht für vollstationär versorgte Personen mit mind. Pflegegrad 2 (§ 18c Abs. 5 SGB XI) oder bei höherer Gewalt, wie Naturkatastrophen, Gutachterengpässen etc. Hinweis: Für Menschen in Kliniken oder Rehaeinrichtungen bzw. palliativ versorgte Personen gelten andere Fristen.
Kann ich den Begutachtungstermin als Betroffene/r selbstständig wahrnehmen?
Prinzipiell ist das möglich, jedoch nicht ratsam. Oft haben An- und Zugehörige eine hilfreiche Außenwahrnehmung, die dazu beiträgt, ein umfassenderes Bild des Pflegebedarfes zu zeichnen.
Ist eine adäquate Kommunikation mit dem / der Betroffenen nicht möglich oder gestaltet sich schwierig, bleibt das Gespräch zwischen den nahestehenden Person und der Begutachtungsfachkraft unerlässlich.
Ebenso kann der Pflegedienst (sofern schon ein Pflegedienst vorhanden ist) bei der Begutachtung anwesend sein. Denn dann kann auch auf fachlicher Ebene über die Bedarfe gesprochen werden. Auch wenn noch kein Pflegedienst an der Versorgung beteiligt ist, kann dieser involviert werden.
Welche Hinweise gibt es noch für die Begutachtung?
A) Führen sie ein Pflegetagebuch, um alltägliche Einschränkungen zu verdeutlichen und den Pflegealltag realistisch zu dokumentieren.
B) Legen Sie alle medizinisch notwendigen Unterlagen bereit (Befunde, Bescheide (bspw. zur Schwerbehinderung), Medikationspläne oder Krankenhausberichte.
C) Stellen Sie sich bzw. Ihre/n potenziell pflegebedürftigen Angehörige/n gut auf den Begutachtungstermin ein. Häufig empfinden die Betroffenen eine Begutachtung als Test und geben sich während der Begutachtung in einer Weise Mühe, die nicht dem Alltag entspricht. Es ist hierbei nicht hilfreich sich von seiner „besten Seite“ zu zeigen.
D) Sprechen Sie als anwesende/r Angehörige/r mit der betroffenen Person, nicht über Dies wird häufig als unangenehm empfunden. Bauen Sie Brücken, anstatt ein Gefühl der Diffamierung zu geben. Zudem sollten Sie die betroffene Person darauf vorbereiten, dass es auch um eine klare Äußerung ihrer Defizite im Alltag geht, damit Hemmungen und eine unangenehme Stimmung während der Begutachtung reduziert werden. Versetzen Sie sich als Angehöriger in die Lage des / der Betroffenen; bspw. könnte es sich bei den Beschreibungen der Einschränkungen so anhören, als ob die betroffene Person ihren Angehörigen ständig zur Last fällt – hier ist also Fingerspitzengefühl gefragt.
E) Rechnen Sie ausreichend Zeit ein und bleiben Sie als Angehörige/r geduldig. Eine Begutachtung kann gut und gerne 2 Std. dauern. In einigen Fällen treten die Angehörigen mit ihren ganzen Belastungen aus der schwierigen Versorgungssituation an die Begutachtungsfachkraft heran, ohne zu berücksichtigen, dass es um die betroffene Person selbst geht. Antworten Sie daher nicht für die betroffene Person, wenn es nicht wirklich nötig ist.
Was tut man, wenn man mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden ist?
Prinzipiell kann Widerspruch eingelegt werden. Dieser muss begründet werden und innerhalb von 4 Wochen nach Zugang des Bescheides zur Höhe des Pflegegrades bei der Pflegekasse eingehen. Diese bemüht sich dann eine andere Begutachtungsfachkraft zu bestellen, welche die Zweitbegutachtung durchführt.
Die Pflegekasse hat laut Sozialgesetzbuch bis zu drei Monate Zeit, um auf einen Widerspruch gegen ein Pflegegutachten zu reagieren. Was passiert in dieser Zeit?
Die Pflegekasse prüft das ursprüngliche Gutachten und Ihre Widerspruchsbegründung. Gegebenenfalls wird ein neues Gutachten durch den Medizinischen Dienst (MD) oder Medicproof (bei Privatversicherten) veranlasst. In der Praxis dauert die Bearbeitung oft vier bis sechs Wochen, wenn alle Unterlagen vollständig sind.
Wird die Frist von drei Monaten überschritten, können Sie eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht einreichen (§ 88 SGG).
Ist man mit dem Widerspruchsbescheid nicht zufrieden, kann man innerhalb von einem Monat nach Zugang des Widerspruchsbescheids Klage beim zuständigen Sozialgericht einreichen (§ 87 SGG). Das Gerichtsverfahren ist kostenlos. Bei all dem helfen häufig Sozialverbände wie der VdK oder SoVD.
Bei so langer Wartezeit, kann ich nicht einfach einen Neuantrag stellen?
Hier spielt die individuelle Situation eine wesentliche Rolle. Prinzipiell kann ein Neuantrag nur gestellt werden, wenn sich die Pflegesituation verschlechtert hat. Dies kann jederzeit geschehen und damit kann auch jederzeit ein neuer Antrag gestellt werden. Allerdings kann die Pflegekasse den Neuantrag aufgrund fehlender medizinischer Fakten als unbegründet abweisen. Da ein Neuantrag bei laufendem Widerspruch die Gesamtsituation verkompliziert, ist ein offener Dialog mit der Pflegekasse und/oder die Beratung bei einem Pflegestützpunkt bzw. Pflegedienst oder Sozialverband sinnvoll.
Im Zusammenhang mit einem Widerspruch sollte nochmals genauer abgewogen werden. Es kann sein, dass Pflegeberatende zu einem Neuantrag raten und empfehlen den laufenden Widerspruch zurückzuziehen – doch Obacht: Die Pflegeleistungen werden in diesem Fall erst mit Posteingang des neuen Antrags gezahlt. Im Zeitraum der bereits verstrichenen Zeit seit dem Erstantrag werden somit keine Leistungen der Pflegekasse entrichtet.
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