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Das Netzwerk

Eine Demenzerkrankung verändert das Leben grundlegend und bringt viele Fragen und Unsicherheiten mit sich.
Das Netzwerk „Demenz im öffentlichen Leben in Rostock“ steht für Hilfe, Ermutigung und Verständnis.
Gemeinsam setzen sich die Mitwirkenden dafür ein, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen Teil der Gesellschaft bleiben und Mut finden, die positiven Aspekte des Leben nicht aus den Augen zu verlieren.

Der Podcast

Das Netzwerk hat einen Podcast ins Leben gerufen, der vielfältige Erfahrungsberichte, Fachwissen und wertvolle Tipps für Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen, Fachpersonal und allgemein Interessierte bereit stellt. Die Folgen des Podcasts sind über Sportify [extern] oder Amazon Musik [extern] hörbar.

Hier finden Sie die dazugehörigen Verschriftlichungen der Folgen, falls Ihnen das Hören der Podcasts nicht möglich ist oder Sie einfach noch einmal nachlesen wollen. Klicken Sie hierzu einfach auf die rote erste Frage und der Text wird im Ganzen gezeigt.

#1 Gemeinsam stark: Demenz in der Familie
Auf Spotify hören

LISA:
Da müsste ich etwas ausholen. Wir sprechen ja heute darüber, dass ich als Angehörige hier bin und als Angehörige meine ich, dass meine Schwiegermutter vor sieben Jahren das erste Mal Anzeichen für eine geistige Veränderung zum Thema Erinnerungsvermögen und Alltagsbewältigung aufgewiesen hat und wir damals überlegt haben ‚Mensch, was könnte das sein?‘. Zwei Jahre zuvor war dann auch mein Schwiegervater verstorben, sodass wir zu Anfang gedacht haben, vielleicht handelt es sich hierbei auch gewissermaßen um eine seelische Belastung. Depressionen können ja auch solche Symptome hervorrufen. Es war so ein schleichender Prozess, es kam immer häufiger zu Problemen. Man muss ja auch dazu sagen, dass meine Schwiegermutti damals Chefin eines mittelständischen Unternehmens war und dort sind ja auch natürlich viele Dinge wichtig, die bewältigt werden müssen und da wurde es dann ein bisschen hakelig.
Ich denke, wenn man das so im Alltag hat, da kann man über viele Dinge noch hinwegsehen, da kann der Partner oder die Kinder: ‚Na ja, Mutti, dann machen wir das mal so.‘ und ‚Ach Gott, hat’s vergessen. Ist nicht so schlimm.‘, aber beruflich war es dann schon ein bisschen hakelig. Da haben wir gemerkt, dass die Computerprogramme ein bisschen vertauscht wurden und die Eingaben so nicht ganz so korrekt waren. Jetzt nicht so ganz schlimme Sachen. Gott sei Dank ist nichts passiert, aber da war das dann auch schon mal deutlich geworden. So ist das damals entstanden und wir haben natürlich, mein Mann und ich, haben dann überlegt und auch seinen Bruder und seine Lebensgefährtin, was wir jetzt tun können. Und ständig diese Frage: ‚Ist es jetzt Demenz oder ist es es nicht?‘, weil wir damit überhaupt keine Berührung hatten. Vorher immer nur mal gehört von dem und dem. Wenn es dann um eigene Angehörige geht, da ist man doch vielleicht geneigt, es ein bisschen auszublenden oder Ausreden zu finden. Man will es gewissermaßen eigentlich nicht richtig wahrhaben.

MODERATORIN:
Genau, so wie der betroffene Mensch ja selber auch. Also gibt es darum gar keinen Tag X, sondern es ist ein schleichender Prozess, wie du ihn beschrieben hast. Kannst du dich an die ersten Momente erinnern, wo du auf einmal gezweifelt hast?

LISA:
Ja, das kann ich tatsächlich. Es gibt einen Tag X. Das war die Jugendweihefeier meines Neffen. Wo sie schon einen Tag zuvor angerufen hatte: ‚Wann kommt ihr mich denn abholen?‘. Wir wollten sie mitnehmen, mit dem Auto. Einen Tag zuvor war sie nun total aufgelöst. Auch diese Reaktionen auf solche Situation, so habe ich das jetzt auch schon gehört, sind dann bei den Betroffenen wirklich so angsteinflößend und sie reagieren da richtig krass drauf, wenn ihnen so etwas passiert. Ich nehme mal an, dass es schon vorher dann immer so auftritt, sie das aber für sich behalten. Es ist natürlich für sie in dem Moment wirklich eine mittlere Katastrophe. Jedes Mal wird es ihnen deutlich: ‚Oh Gott, hier ist irgendwas mit mir!‘. Keiner möchte das. Es ist ja logisch, es ist ja für alle Menschen ein Albtraum.

MODERATORIN:
Ja, das heißt, da ist die Wahrscheinlichkeit eher niedrig, dass da jemand von alleine irgendwo Hilfe holt oder anruft? Kommt das auch schon mal vor, oder sind das meistens eher die Angehörigen, die dann um Hilfe bitten und fragen?

SINA:
Das ist ganz abhängig davon, wie die betroffene Person so strukturiert ist. Was für eine Persönlichkeit das ist. Die Situation, die du gerade geschildert hast, dass ist ganz typisch, dass sie das auch noch mehr verunsichert hat. Sie hat so reagiert, weil es ja die Öffentlichkeit ist, dass andere dritte Person das mitbekommen. Das ist das, was so bloßstellend ist und das nochmal nochmal mehr verängstigt. Das hören wir ganz häufig, dass dann tatsächlich die Betroffenen selbst eher nicht die ersten sind, die sagen, man muss was machen, sondern die Angehörigen. Sie beobachten dann schon Situationen, die eben nicht mehr überspielt werden können. Aber durchaus,  wir haben bei unserem Beratungstelefon auch Personen, oder wenn wir Beratungsstände machen, die sagen ‚Ich habe Angst, dass ich eine Demenz habe‘.

MODERATORIN:
Es ist ja immer noch das große Problem, dass man vorher keine Berührung damit hat. Aber dieses Schreckgespenst ist immer da. Je älter man wird, desto mehr kommt es ins Bewusstsein. Dafür, dass es wirklich allgegenwärtig ist und es so viele Menschen betrifft, sind nicht genug Information draußen, dass man offen und ehrlich darüber sprechen kann oder vielleicht auch präventiv etwas zu tun oder sich seelisch darauf vorzubereiten. Darum ist da dieser Schockmoment immer so riesengroß. Wie ging es denn genau nach diesem Event weiter?

LISA:
Wir haben uns beratschlagt und im Grunde hatte ich dann die Idee, bei ihrem Hausarzt einmal vorzusprechen. Dort habe ich alles geschildert. Ich selber bin auch Patientin bei dem Hausarzt gewesen. Wir haben es mal besprochen und ich hatte so die Idee, einen Check-up-Termin dafür nutzen, dass er den sogenannten Demenztest einmal macht. Ich hatte das bei ihr immer mal angesprochen: ‚Wollen wir mal gucken, wenn es dir nicht so gut geht, ob das da einen Grund für gibt?‘. So in der Richtung. Dann war die Erkrankung aber auch schon so weit fortgeschritten, dass sie sehr gerne Hilfe angenommen hat von mir. Insbesondere, weil wir ein gutes, vertrautes Verhältnis hatten und das war sehr, sehr gut.
Dann habe ich zu ihr gesagt: ‚Du, weißt du was? Wir fahren mal zusammen zu deinem Arzt, wenn du damit einverstanden bist.‘.
Jetzt fällt mir ein, was nämlich der Grund war, dass sie im Auto noch eine ganz furchtbare Situation hatte. Sie war noch Auto gefahren und hatte dann einen schwarzen Moment. Auf einmal war ihr Bewusstsein komplett weg im Auto. Sie musste bremsen. Alles war schwarz, so hat sie es geschildert. Sie war aber auch schon sprachlich nicht so ganz sicher im Reden und Schildern, was ihr passiert war. Sie wusste nicht, wo sie war, wo sie hin wollte. Sie wusste, wie das Auto funktioniert. Das waren so Automatismen, die waren gut. Aber sie war eben auch so schlau, dass sie das auch mitgeteilt hat, also  sie hat mir das dann erzählt. Ich habe dann auch gesagt ‚Pass mal auf, bevor wir nicht beim Arzt waren, halte ich es für günstig, dass wir das Auto erst mal stehen lassen. Ich fahre dich, wenn irgendwas ist.‘.
So ist es dann gekommen, dass wir alles mit dem Arzt besprochen haben. Ich fand das wirklich gut gelaufen.
Und es ist für alle Zuhörer vielleicht auch mal ganz spannend. Die Ärzte sind auch sehr dankbar für solche Hinweise von den Angehörigen. Wir haben das dann so gemacht, dass der Arzt ihr geschildert hat, Sie habe ein bisschen Stoffwechselprobleme und man müsse bei den Medikamenten gucken, ob sie gut eingestellt sind und auch die Gehirnleistungen prüfen. Dann hat sie den Test gemacht und da kam auch heraus, dass die Krankheit schon relativ weit fortgeschritten war. Nun wussten wir dann erstmal schon, dass es um Demenz geht und sind dann auf Empfehlung des Hausarztes zu einem Neurologen. Da hatte sie regelmäßige Termine und hat auch ein Medikament bekommen, was gewissermaßen noch ein bisschen Verzögerung mit sich bringt, so dass sie besser oder vielleicht noch länger den Alltag allein bewältigen kann.

MODERATORIN:
Und dieser Moment nach der Diagnose?

LISA:
Das war hart. Ich nehme mal an, vielleicht aufgrund der Erkrankung oder aufgrund des Ausblendenwollens, war sie der Meinung, sie hat diesen Demenztest mit Bravour bestanden. Sie kam also in den Warteraum zu mir, sie hatte das dann ja mit der Schwester gemacht und sagte ‚Ah, ich weiß gar nicht, was die von mir wollen, das war doch alles ganz einfach. Läuft doch alles wunderbar!. Da wusste ich aber, das das nicht sein kann. Wir sind dann ja auch zum Hausarzt reingegangen. Da hab ich nicht gesagt, das alles prima und prächtig ist. Aber ich hab gesagt: ‚Na, wir gucken mal. Wir besprechen ja alles weitere da mit dem Arzt und dann immer Schritt für Schritt.‘. So sind wir da mal rangegangen.

SINA:
Auch das gutes Verhältnis zu dir war dann auch wirklich wichtig. Man braucht jemandem in diesem ganzen Prozedere, das ewig lang sein kann. Ihr hattet Glück, dass ihr so einen einfühlsamen Arzt hattet und, dass sie dich so hatte. Als Person, die mit reingekommen ist, die die Hand hält, mental einfach stärkt. Das ist wirklich unglaublich wichtig.

LISA:
Ja, das habe ich auch gemerkt, das wurde immer wichtiger im Verlauf, dass wir so ein vertrautes Verhältnis hatten. Dass ich sie dann auch körperlich pflegen konnte, das Duschen und so. Es ging dann relativ rasant, muss ich sagen, dass solche Sachen auch nicht mehr gingen. Zähneputzen, Duschen…. aber wir haben da immer richtig Spaß gehabt. ‚Ja,‘, hab ich dann immer gesagt, ‚ach, das musst du doch nicht. Damit musst du dich doch nicht belasten. Komm, wir gehen mal ins Bad und wir machen das.‘ und dann hat sie gesagt ‚Ja, ich kann es doch alleine!‘. Da hab ich dann so reagiert, dass ich dann gesagt habe, ‚Ja, das kann durchaus sein aber das musst du ja nicht. Ich bin jetzt hier, um dir zu helfen und dann ist das alles einfacher für dich. Du machst das, was du kannst allein und ich assistiere dir‘. So waren wir immer verblieben. Ich war immer ihre Assistentin auf spaßige Weise. Das fand sie immer gut. So ist das noch eine ganze Zeit gelaufen und dann wurde es natürlich auch immer schwieriger mit den Medikamenten. Das hat dann mein Mann gemacht, ist jeden Morgen zu ihr gegangen. Weil sie auch noch in dem Firmensitz gewohnt hat, war das ganz gut, dass er dann morgens gucken konnte, dass er mit ihr noch Zähneputzen konnte und ihr die Tabletten gegeben und vorbereitet hat. Na ja, solche Sachen.

MODERATORIN:
Das heißt, der Tag der Diagnose war dann eigentlich auch der Tag, wo sich die Dinge verändert haben, alleine auch schon vom Denken her.

LISA:
Ja und der Planung: Wie planen wir, dass nichts passiert und dass sie mit allem versorgt wird? Dass sie nicht so viel alleine ist. Sie ist selbst da auch wirklich noch präsent gewesen. Es hat ihr ja natürlich auch keiner verboten. Sie ist nur auch weiterhin ins Büro gekommen und hat noch wirklich lange den Kaffee gekocht, und zwar gut. Das waren so Momente, wo wir uns immer drüber gefreut haben. Mein Mann hat jeden Tag dann auch berichtet. Wenn ich nicht da sein konnte, hab ich natürlich immer abgefragt: ‚Wie war es heute?‘. Das waren so Momente, darüber hat man sich dann tierisch gefreut.

SINA:
Ja, ist auch unglaublich wichtig, dass sie nach der Diagnose auch trotzdem noch weiterhin Teil ihres Unternehmens war. Dass sich Betroffene eben nicht einschließen zu Hause und, verständlicherweise, in eine Depression verfallen. Weil man natürlich denkt, ‚Was macht das mit mir?‘, ‚Wie lange kann ich noch?‘, ‚Was kann ich noch?‘. Das sind ganz, ganz viele Vorgänge, die da in einer betroffenen Person vorgehen. Dass ihr das dann so gemacht habt, miteinander, das ist ganz toll und zeigt auch noch mal, wie wichtig es ist, dass die Angehörigen, die Familie hinter den Betroffenen stehen. Die Verbindung ist schon da, das macht so viel einfacher.

LISA:
Und ganz wichtig finde ich auch, wenn wir jetzt Zuhörer erreichen, würde ich wirklich auch noch mal die Botschaft mitteilen wollen:
Die Demenzerkrankung ist nichts, was Angst machend oder Angst einflößend ist. Die Personen, die Betroffenen, sind nicht irgendwie psychisch gestört oder verhalten sich jetzt irgendwie Angst einflößend. Es ist nicht so, dass man damit nicht umgehen kann. Wir wussten es damals nicht, wir hatten uns keine Hilfe geholt. Ich habe aber viel gelesen, Bücher und Beiträge und so. Das hat mir dann immer viel geholfen. Auch, weil ich mich grundsätzlich dafür interessiere, auch beruflich. Ich habe das oft gehört, dass Angehörige sagen, ‚Unsere Mutter oder unser Papa, der hat Demenz. Oh Gott o Gott, was kommt jetzt auf uns zu?‘. Da sage ich: Jeden Tag für sich betrachten. Man kann es nicht vorhersehen, was passiert. Man kann nicht vorhersehen, wie schnell das geht. Man kann nicht vorhersehen, wie die Patienten sich verhalten, was sie wann nicht mehr können. Es ist nichts, was wir irgendwie wissen. Wir nehmen jeden Tag als einzelnen Tag und morgen ist morgen, heute ist heute.

SINA:
Genau, es gibt auch keine Schablone. Jede Person ist anders. Jede Familie funktioniert anders. Jeder Krankheitsverlauf, wie du schon gesagt hast, ist anders. Genau, es ist ganz wichtig, dass da noch ganz viel Leben drin steckt. Wenn man auch vielleicht mit herausforderndem Verhalten zu tun hat, es gibt ja durchaus demenziell erkrankte Personen, die auch aggressiv sind oder deren Verhalten sich stark ändert. Da ist es das Wichtige, was wir auch in der Alzheimer Gesellschaft machen, das sind Angehörigenschulungen. Sodass Angehörige die Möglichkeit haben, kostenfrei an Schulungen teilzunehmen, wo sie eben sowas lernen – Was mache ich denn bei herausforderndem Verhalten? Was mache ich, wenn die Person wegläuft?

LISA:
Das war jetzt nicht so mit herausforderndem Verhalten. Aber das habe ich auch gehört, das stimmt. Das habe ich jetzt irgendwie nicht so auf dem Schirm gehabt, aber es gibt natürlich auch noch Erkrankungen, die mit aggressivem Verhalten zu tun haben, in der Demenz oder in der Alzheimer.

SINA:
Die Pflege ist ja auch einfach mal zermürbend und sei es nur, dass häufig das Gleiche gefragt wird, dass die Person nicht alleine bleiben wollen. Das sind alles Sachen, die die pflegenden Personen auch vor Herausforderungen stellt. Das Verhalten ist ja nicht per se herausfordernd oder aggressiv, aber es sind alles Sachen, mit denen man täglich klarkommen muss und die heute nicht so sind, wie sie morgen sind.

MODERATORIN:
Wie findet man euch denn? Also wie habt ihr euch quasi gefunden? [zu Lisa] Jetzt kam die Diagnose und du bist ein wissbegieriger Mensch, das heißt, du hast dir vielleicht Bücher dazu geholt? Der Arzt hat dir vielleicht eine Broschüre mitgegeben? Wie findet man euch dann, dass die Betroffenen und die, die helfen möchten, zueinander kommen?

SINA:
Also der oder die erste Ansprechperson ist immer Hausarzt, Hausärztin. Es gibt auch in den größeren Städten Gedächtnisambulanzen, da kann man auch hingehen und die nehmen sich auch lange Zeit mit der Diagnostik, für Gespräch. Mehr Zeit als ein Hausarzt das kann, einfach vom Patientenaufkommen her. Da gibt es natürlich die ersten Informationen. Selbstverständlich sind wir auch in Mecklenburg-Vorpommern oder auch in ganz vielen anderen Bundesländern in Deutschland gibt es Alzheimer Gesellschaften und Beratungsstellen, die man ansprechen kann. Die haben Informationsmaterial. Die bieten vielleicht auch solche Möglichkeiten, wie wir mit der Angehörigenschulung haben oder leisten auch Unterstützung bei dem, ‚Was kann ich jetzt machen?‘ – Wann ist der Punkt, wo wir zum Beispiel in eine stationäre Pflege wechseln müssen? Unser Fokus liegt immer darauf, so lange wie möglich in der Häuslichkeit, dass die Leute noch teilhaben können. Damit es eben erstmal nicht zu einem stationären Aufenthalt kommt. Da sind es zum Beispiel Schulungen. Oder die Helferkreise, wo einzelne Helfer dann für ein paar Stunden auch in die Häuslichkeit kommen. Sie kommen um zu helfen, oder um einfach mal eine Runde mit den Betroffenen spazieren zu gehen, ein Spiel zu spielen oder sich einfach zu unterhalten. Damit die Angehörigen mal wieder Zeit für sich haben. Sei es natürlich im Haushalt oder einfach mal, um zum Friseur zu gehen.
Das ist auch eine ganz wichtige Komponente. Wir haben in Rostock beispielsweise den Aktivgarten, wo man gemeinsam in einer Gruppe die Möglichkeit hat, zusammen im Garten rum zu puzzeln. Das hilft den Betroffenen, hilft auch, wenn sie mitkommen, den Angehörigen, um einfach mal rauszukommen und was zu tun.

MODERATORIN:

Und das Gefühl zu haben, man ist mit diesem Thema nicht allein. Insbesondere nach der Diagnose. Es ist alles fremd, es ist ein Schreckgespenst, das sind alles die Worte, die schon gefallen sind. Und auf einmal betrifft es einen selbst, es ist in der eigenen Familie ein Mensch, den man liebt. Das ist erst mal Schock und dann fühlt man sich damit überfordert und allein. Und dann zu Wissen, da ist so eine ganze Organisation, die da so rückenstärkend ist und das Wissen hat, dass man braucht…

LISA:
Ja, wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass es ganz viele Menschen auch gibt, die betroffen sind und die aber auch keine Angehörigen haben oder Angehörige, die sich gar nicht in der unmittelbaren Umgebung oder Nähe der Betroffenen befinden. Das finde ich wirklich traurig für denjenigen, aber es nützt ja nichts. Es gibt auch da Möglichkeiten durch die Gesellschaft, durch Freunde, die da vielleicht etwas wahrnehmen. Vielleicht hört auch so jemand diesen Podcast und da gibt es auch Möglichkeiten.

SINA:
Genau deshalb ist auch die Aufklärung so wichtig, dass wir einfach alle ein bisschen mit offenen Augen rumlaufen und beispielsweise im Wohnblock doch mal gucken, ‚Wer wohnt denn da eigentlich? Geht es dem eigentlich noch gut? Gehen die noch regelmäßig einkaufen? Und wenn ja, finden sie den Weg?‘. Man darf ruhig mal ein bisschen seine Mitmenschen beobachten und vielleicht auch mal Hilfe anbieten. Jetzt auch ganz unabhängig von der Demenzerkrankung, ist das wohl eine Möglichkeit oder eine dringende Möglichkeit, damit wir auch in Zukunft diese Masse an zu pflegenden Menschen auffangen können. So lange wie möglich, wollen die natürlich auch zu Hause leben und wir haben gar nicht die Möglichkeit, sie alle ambulant oder stationär zu verpflegen. Also sind wir gefragt wieder nach unserem Nächsten zu gucken als Gesellschaft. Gerade weil es oft, wie du schon sagst, die Angehörigen gar nicht mehr gibt. Wir sind hier in Mecklenburg-Vorpommern. Ganz, ganz viele Angehörige wohnen im Westen, wohnen im Süden Deutschlands, die sind nicht greifbar. Da gibt es natürlich auch noch andere Institutionen, die dann helfen. Es gibt da auch Möglichkeiten und  man kann so ein Versorgungsnetz trotzdem spinnen, aber irgendjemand muss ja zum Beispiel mal den Hausarzt kontaktieren oder uns kontaktieren. Genau da muss man links und rechts schauen.

LISA:
Also wenn ich das jetzt richtig verstehe: wenn man einen Bekannten oder einen Freund oder eine Freundin hat, wo man dann jetzt sowas gewissermaßen Auffälliges mitbekommt… Diejenigen können dann bei euch anrufen?

SINA:
Genau. Man kann bei uns anrufen. Man kann auch Beratungstermine vor Ort vereinbaren oder auch online, heutzutage geht das auch. Aber natürlich, der erste Anruf zu sagen, ‚Ich habe hier jemanden.‘, da können wir schon mal helfen.

LISA:
Ja, dann hat man den ersten Schritt getan. Ihr seid die Fachleute, ihr könnt die richtigen Fragen stellen. Da muss man sich nicht davor scheuen, einfach diese Nummer zu wählen.

SINA:
Genau. Wir können beraten, welche Stellen es gibt, welche Netze man spinnen kann. Wie gesagt, nicht jede Person ist gleich, aber wir versuchen so weit wie möglich zu unterstützen. Auch wir können an der Erkrankung nichts tun, wir können manchmal auch einfach nur ein offenes Ohr bieten für die Personen, auch für die Angehörigen, die einfach mal loswerden müssen, was denn so auf der Seele liegt.

MODERATORIN:
Das ist großartig, denn wie häufig passiert das? Dass man etwas sieht und es geht einen auch ans Herz aber man denkt sich, ‚Ich kann aber eh nichts tun, da kann ich ja jetzt nichts dran ändern.‘ Jetzt zu wissen, da gibt es eine Nummer, da kannst du anrufen. Das ändert ja das ganze Szenario total.

LISA:
Also man könnte ja auch wirklich sowas wie eine Selbsthilfegruppe, gibt es ja sicherlich auch solche oder werden ins Leben gerufen. Wo man sich austauscht als Angehörige und wo man sich vielleicht sogar gegenseitig unterstützen könnte. Oder solche Helfer, die vielleicht auch mal einspringen, wenn man mal am Wochenende nicht da ist.
Wir hatten eben das Glück, dass die beste Freundin meiner Schwiegermutti da immer parat war. Wenn wir im Urlaub waren, ist sie gekommen, hat dann übernachtet bei meiner Schwiegermutti und hat sich dann um alles gekümmert. Das Gute war, dass die Freundinnen selbst schon zwei Angehörige gepflegt hat in ihrem Leben, die an der gleichen Erkrankung erkrankt sind und die sich bestens auskannte mit allen Dingen, die da so erforderlich sind oder die sich so zeigen. Meine Schwiegermutter kann jetzt nicht mehr, sie ist jetzt im Pflegeheim im Endstadium der Erkrankung. Ihre Freundin ist jetzt auch meine Freundin geworden.

MODERATORIN:
Das ist schön. Wie bist du mit dieser Ausnahmesituation umgegangen, als die sich ergeben hat, dann.

LISA:
Welche genau meinst du?

MODERATORIN:
Na ja, also man bekommt diese Diagnose, man hat das Verantwortungsgefühl. Man möchte was verändern. Man möchte helfen. das ist ja schon eine ziemliche Ausnahmesituationen, in die man dann eigentlich ungewollt hineingeworfen wird vom Leben. Denn du hattest ja auch dein ganz normales Leben und dein normalen Alltag, dein ganzes Pensum, deine Probleme. Und auf einmal war da noch ein ganz neuer Mount Everest, den man da besteigen musste.

LISA:
Wir waren ja in der Familiengemeinschaft und wir haben uns das ja im Grunde genommen geteilt. Von daher war die Belastung für den einzelnen jetzt nicht überdimensioniert. Aber die mentale Belastung, die musste natürlich auch jeder für sich verstoffwechseln. Da haben wir uns natürlich viel in der Familie darüber ausgetauscht. Dann war ja auch noch diese Freundin da, wenn wir nicht wussten, ‚Was ist das jetzt?‘, ‚Wie geht es jetzt hier weiter?‘, ‚Was können wir jetzt tun?‘.
Wir konnten immer anrufen. Da hatten wir großes Glück. Ansonsten ist es so, dass man funktioniert. Wie gesagt, jeden Tag für sich betrachten und sich über Kleinigkeiten, die noch funktionieren freuen. Ich fand, die Situation wurde eine Ausnahmesituation, als es dann darum ging, dass sie ins Pflegeheim musste. Es ist jetzt unabänderlich, sie kann jetzt wirklich nicht mehr zu Hause bleiben, selbst wenn jemand bei ihr 24/7 vor Ort gewesen wäre, wäre es nicht gegangen. Aber ich möchte das diskret behandeln.

MODERATORIN:
Das heißt, dein Rat wäre, dass man sich austauscht. Dass man nichts in sich hinein frisst. Dann einen Experten zu haben, wo man hingehen kann. [zu Sina] Da kommt ihr wieder ins Spiel. Und jeden Tag so nehmen, wie er kommt und vielleicht auch irgendeine Form von Vorbereitung. Im Kopf zu haben, dass der Tag X irgendwann kommt, wo es in die Pflege geht.

LISA:
Das ist ein sehr guter Aspekt. Was ich auch jedem raten kann, ist, diese Vorsorge wirklich zu treffen. An die Patientenverfügung zu denken und auch an die Vollmachten. Was auch ganz wichtig ist, wenn der Angehörige Besitz hat, also Häuser, Firmen oder dergleichen, dann muss die Generalvollmacht unbedingt vom Notar unterschrieben werden. Sonst hat man dann nachher Probleme, diese Dinge weiter zu verwalten. Wenn der Betroffene selbst nicht mehr geschäftsfähig ist, dann gibt es halt gerichtliche, gerichtlich bestellte Betreuer und ja, das funktioniert auch, aber alles sehr schleppend und dass es ein unsäglicher Zustand. Also in dem Falle wirklich vom Notar unterschreiben lassen.

SINA:
Man darf auch nie vergessen, Erkrankte sind ja auch solange es geht noch geschäftsfähig. Sie haben, solange es geht, noch ihren Willen. Aber da sind wir wieder vielleicht ein bisschen bei der Aufklärung, dass man Bescheid weiß, wo es hingehen kann und vielleicht frühzeitig genau diese Sachen, die du angesprochen hast, einfach in Sack und Tüten hat. Damit man das sich darüber keine Gedanken mehr machen muss. Dass erleichtert einfach solche Prozesse unglaublich.

LISA:
Genau. Und was auch noch mal ganz wichtig ist: Die Pflegeheime sind ja natürlich voll, das wissen wir ja, und es gibt wenig Plätze. Es war hart für uns, meine Schwiegermutti dort anzumelden, aber wir haben sie tatsächlich ungefähr ein Jahr, bevor sie tatsächlich ins Pflegeheim musste, angemeldet und auf die Warteliste gesetzt. Das Pflegeheim hat uns immer angerufen, wenn ein Platz frei war und wir haben dann ganz oft, ich möchte sagen, mindestens zehnmal gesagt, ‚Nein, noch sind wir nicht soweit.‘. Das war gar kein Problem: ‚Alles gut, wir haken das dann ab und wir freuen uns. Toll, dass sie noch so lange wie möglich zu Hause bleiben kann.‘.
So verbleibt man dann mit dem Pflegeheim und das wissen auch viele nicht. Ich habe nämlich jetzt auch eine Freundin, der geht es ähnlich und dann konnte ich ihr das auch mitteilen und da hat sie quasi auch ganz erstaunt: ‚Ich dachte, ich muss jetzt da anrufen und wir müssen dann gleich , wenn da der nächste Platz frei ist…‘ Und dann hatten wir Glück, dass es zeitlich eigentlich ganz gut zusammengepasst hat. Dass dann auch ein Platz frei wurde, als es dann wirklich der Zeitpunkt da war.

MODERATORIN:
Da sind ganz viele Informationen, die wirklich raus müssen. Die sind noch nicht zugänglich genug. Alles, was euch im Kern geholfen hat, ist genau das, was ihr leistet, genau das, was ihr tut.

SINA:
Ihr habt das absolut richtig gemacht. Schon allein, sich frühzeitig zu kümmern. Manchmal gibt es ja nicht nur die stationäre Pflege, es gibt ja zum Beispiel auch die Tagespflege. Das heißt, da können die betroffenen Personen für ein paar Stunden hin kommen. Es ist ja oft das Problem, dass sie nicht wollen oder dass sie es nicht annehmen. Ganz verständlich, betroffene Personen haben ein Problem mit Veränderungen und damit, sich in neuen Umgebungen zurechtzufinden. Sie wollen natürlich ihr Vertrautes behalten. Deswegen plädieren wir ja auch so lange wie möglich in der Häuslichkeit. Aber es kommt zum Punkt X, den du beschrieben hast, da geht es nicht mehr anders. Und da ist es schön, wenn man sich auch frühzeitig kümmert, dass man möglicherweise die betroffene Person auch mal mitnimmt. Kein Pflegeheim macht die Schotten dicht, wenn man sagt, ‚Wir kommen einfach mal zum Kaffee vorbei.‘. Zum Beispiel auch eine Möglichkeit, das vielleicht ein bisschen leichter zu gestalten. Sodass sich sowohl die Angehörigen als auch die Betroffenen an die Umstände gewöhnen können. Die Pflegeinrichtungen wollen mit einem zusammenarbeiten. Keine Frage ist falsch. Sie sind ja immer wohlgesonnen den Betroffenen gegenüber und den Angehörigen.

MODERATORIN:
[zu Sina] Magst du noch einmal so zum Abschluss eure Ziele aussprechen?

SINA:
Wir sehen uns als dritte Säule, also neben der ambulanten und stationären Versorgung, sind wir diejenigen, die versuchen, mit ganz vielen ehrenamtlichen Helfern, so lange wie möglich die Häuslichkeit zu erhalten. Nicht zu schauen, was bei dem Erkrankten alles nicht mehr funktioniert, sondern die Ressourcen zu stärken und auch den Angehörigen oder auch Zugehörigen das Werkzeug an die Hand zu geben, genau diese Ressourcen noch zu nutzen. Mit den Betroffenen zusammen. Vielleicht so auf die ein oder andere Art auch den Humor ein bisschen zu erhalten. [Zu Lisa] So, wie ihr das auch versucht habt, denn ich möchte es mal so sagen: Wir können die Krankheit oder den Ausgang der Erkrankung nicht ändern, aber den Weg dahin. Und das ist das Allerwichtigste.

MODERATORIN
Und auch diese Aufklärungsarbeit, dass das alles noch mehr ins Bewusstsein kommt, weil das ist auch ein gesellschaftlicher Aspekt, wie das alles gehandelt wird.

SINA:
Genau. Wir vergessen ja auch, wir haben vielleicht Omi und Opi immer im Kopf, aber es gibt auch jünger Betroffene. Je nach Erkrankung ist es so, dass auch diese am Leben noch teilhaben wollen und denen müssen wir auch Mut machen. Und da ist die Aufklärung natürlich ganz wichtig

MODERATORIN:
Da habt ihr auch Programme, womit ihr auch an Schulen geht?

SINA:
Wir versuchen, mit den Projekten, die wir eh machen, mit den Organisationen, mit denen wir eh zusammenarbeiten, versuchen wir Projekte entstehen zu lassen, die der Aufklärung dienlich sind. Wir sind aktuell in Rostock dabei, mit einer Schule zusammenzuarbeiten, wo die Kinder Szenen entwickeln und damit dann auf die Bühne gehen. Das hilft sowohl den Kindern als auch deren Angehörigen. Die ganze Familie wird ja damit sensibilisiert und das Thema kommt mal auf den Tisch und letztendlich kommt es auf die Bühne. Das ist so eins der Projekte, das wir machen. Was auch ganz viel Spaß macht und wo wir immer wieder sehen, wie viele engagierte Personen es gibt. Also ich kann an dieser Stelle nur sagen: Mitmachen in einer Alzheimer Gesellschaft oder in einer Organisation vor Ort Mitglied werden! Mitmachen, ehrenamtlich engagieren. Ehrenamt ist auch etwas, was ganz, ganz viel zurückgibt. Es ist keine Einbahnstraße. Da können die Organisationen vor Ort und natürlich auch wir sehr gerne beraten, austauschen, vernetzen und Kontakte knüpfen.

MODERATORIN
Und wo können Zuhörer weitere Informationen und Unterstützung finden?

SINA:
Auf unserer Internetseite natürlich. Heutzutage geht das ja auch mal schnell. Man muss auch sagen, dass es ist ja auch ein Thema, wo man vielleicht nicht gleich zum Telefonhörer greifen möchte, sondern sich auf unserer Internetseite www. alzheimer-mv.de schon mal erste Informationen holen will. Wo man mit unserem Chatbot vielleicht auch mal chatten kann, um die ersten Informationen zu bekommen. Wo man natürlich auch unsere ganzen Kontaktdaten findet. Nicht nur zur Beratung, sondern auch zu allen anderen Sachen, die wir jetzt schon so gesagt haben. Natürlich auch unsere Ansprechpartner vor Ort, wir haben zum Beispiel unseren Demenzkompass, in dem man einfach mal einen Ort eingeben, wo die Organisationen, Helferkreise, Unterstützungen für die häusliche Pflege zu Hause zu finden sind.

MODERATORIN:
Wow, super, da ist ganz, ganz viel in Bewegung. Ganz viele Informationen, die Wege finden, rauszukommen. Fantastisch. Danke, das ist schön.
Möchte noch jemand etwas ergänzen zum Abschluss?

LISA: Ich freue mich, dass wir hier sein durften und hoffe, dass wir viele Menschen erreichen können mit dem Podcast. Dass wir Mut machen konnten und ein bisschen was von der Verzweiflung nehmen konnten.

SINA:
Ja, ich überlege gerade, natürlich ist es auch in Mecklenburg-Vorpommern, wir sitzen jetzt in Rostock, aber Mecklenburg-Vorpommern besteht auch aus ganz vielen ländlichen Regionen, aus ganz vielen kleinen Dörfchen. Insbesondere da ist es wichtig, dass man zusammenhält, dass es dort Strukturen gibt zur Versorgung, dass dort eben nicht weggeguckt wird. Da auch noch mal, Mut machen, aus der Tür herauszutreten und sich Hilfe zu suchen oder auch eben Dinge anzusprechen und mal beim Nachbarn links und rechts zu schauen.

 

Produktion: Sina Jankowiak, Alzheimer Gesellschaft Landesverband M-V
Moderation: Anika Sieg https://www.musieg.de/anikabollmann [extern]
Intro: Rita und Uwe Harder; Fahrenholzer Gemeindechor (Landkreis Rostock)
Audio: Tonstudio Rostock https://tonstudio-rostock.de/ [extern]

#2 Yoga und Klang für Menschen mit Demenz
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#3 Verantwortung regeln: Betreuung und Vollmacht
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#4 Intimität und Beziehungsgestaltung im Alter
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